Episoden

Als aufmerksamer Reisender aufgeschnappt – hier wiedergegeben als kurze Episoden.

Von Lukas Wenger

Abnehmen

Im Bus von Gelterkinden nach Maisprach am 17. Oktober 2013

Die Frau des Buschauffeurs sitzt auf dem Einzelplatz vorne rechts im Bus, die etwa 10-jährige Tochter auf der Ablage daneben.

Die Tochter: «Papi, darf ich Dir auf die Schoss sitzen?»

Der Chauffeur: «Nein, sicher nicht.»

Die Tochter: «Aber früher habe ich das auch dürfen!»

Die Mutter zu ihrer ganz normalgewichtigen Tochter: «Da warst Du viel kleiner!»

Die Tochter, nachdenklich zu sich selber: «Ich muss abnehmen!»

Kondukteuse

Zwei Reisende im Zug sind in ein Gespräch vertieft und erzählen sich allerlei Geschichten. Auch diese:

Der Regionalzug in Lyssach wird jeweils von einem Kondukteur und, damals neuerdings auch von einer Kondukteuse abgefertigt. Das heisst, dass die betreffende Person den Bahnsteig überwacht, und wenn alle Zugreisenden aus- bzw. eingestiegen sind und der Zug abfahrbereit ist, lässt sie dies den Lokführer wissen, indem sie in die Pfeife bläst.

Jeden Tag. Auch jeden Morgen und jeden Abend. Sogar frühmorgens und spätabends – was einige unmittelbare Anwohner ein wenig störte, sprich: am Schlafen hinderte.

So fuhr eines frühen Morgens der Zug halt ohne Kondukteuse ab, weil der Zugführer glaubte, sie habe gepfiffen. Tatsächlich war es ein verschlafener, aber nicht ganz ausgeschlafener und daher etwas gehässiger Einwohner gewesen – vom Fenster nebenan.

«73gi»

Zwei Damen im Gespräch, im benachbarten Zugs-Abteil, beide bereits ergraut:

«Wüsst dr, da muess me de chiche, we's dr Hoger uf geit – 73gi bin i nämlech.»
Die jüngere, etwas zerstreut: «Ah ja. Eh, das isch grad e so rächt für Euch.»

[«Wissen Sie, da muss man schon ziemlich ächzen, wenn's den Hügel rauf geht – bin nämlich 73 Jahre alt» — «Ach ja. Na, das ist grad so richtig für Sie.»]

Die heutige Jugend oder Der Balken im Auge

Beim Stadttheater Langenthal, 20. November 1992

Den Stumpen im Mund, am Strassenrand ein alter Mann, ein Auto rast vorbei, und trotzdem dröhnt laute Musik und übertönt das Motorengeräusch. «Die hei afä luti Musig i irne Chäre», wettert er, und mich, der ich neben ihm stehe, macht eine stinkige Rauchwolke seines Stumpens husten.

[«Die haben heutzutage laute Musik in ihren Autos»]

Älterer Mann im Bus

Im Bus Langenthal–Grasswil, am 4. Dezember 1992, 10.02 Uhr:

«Fährst Du zum Einkaufszentrum ‹Tell›?» Der Mann, im mittleren Alter, zögert. Auch auf das Nicken des Chauffeurs bleibt sein Zögern bestehen: «Darf ich hereinkommen?» «Selbstverständlich», kommt die Antwort etwas ungehalten vom Fahrersitz her, und der Chauffeur macht sich bereit zum Kassieren. «Ich habe eine Karte», entgegnet der Mann auf die Gesten des andern, nestelt sie hervor mit ungelenken Fingern, während der Fahrer zum x-ten Mal den ersten nassen Schnee des Jahres von der Frontscheibe des Linienbusses wischt.

Hält sie jenem unter die Nase, «habe noch manche Fahrt!», der schaut sie gar nicht erst an. «Ist schon in Ordnung». Wie wenn es dem Mann erst jetzt einfiele: «Wo?», schaut sich um, erblickt den orangen Kasten; er geht darauf zu und steckt das Kartonstück in den Entwertungsschlitz.

Setzt sich zuvorderst, keine Minute vergeht, und er beginnt zu reden. «Weisst Du – ich darf Dir doch ‹Du› sagen? – vorhin ist eine Frau ganz schön ins Zittern gekommen.» Der Chauffeur hört belustigt und leicht spöttisch zu, ohne auf das Geplapper einzugehen. «Sie hat nämlich kein Geld gehabt.» Das Portemonnaie vergessen, habe sie gesagt, und dringend ein Billet benötigt. «Ich hab es ihr bezahlt. – Aber nur das Billet, mehr nicht!»

Rückt seine Mütze zurecht, «das darf man doch, oder?», zieht das Gilet etwas straffer, weshalb sein Hemdkragen noch mehr verrutscht als bisher. «Weisst Du, ich habe nichts dafür verlangt.» Sie sollte nur meine Schwester anrufen in Rothrist, sobald sie angekommen sei, und ihr sagen, dass sie gut nach Hause gekommen sei, das war alles. «Weisst Du», er wendet sich an die versammelten Mitfahrerinnen und Mitfahrer im Bus, «ich will, dass alle gut nach Hause kommen.»

«Umefrese»

Zug Burgdorf–Steinhof, Frühling 1994:

Mutter: «Wie gefällt Dir das Zugfahren?» – 4-jähriger, nach einer Nachdenkpause: «Umefrese!»

[«Schnell herum fahren»]

Gespräch zweier Katzenmenschen

Uni Bern, Mensa, 21. Juni 1996:

Seine Katze ist eine Berühmtheit. Sie war schon auf allen Titelseiten, nachdem sie den Bären einen Besuch abgestattet hatte und die Feuerwehr sie vom Kletterbaum im Bärengraben herunterholen musste. Ich sass also neben einem Menschen, dessen Katze bereits einmal berühmt war – welche Ehre, welch ein Zufall. Seine hübsche Zuhörerin jedenfalls war ganz hingerissen von diesem Menschen mit der berühmten Katze – auch sie ein Katzennarr, zweifellos (was für eine gelungene Masche, denke ich bei mir).

Solcherart der Zuhörerschaft sicher, erzählte er weiter. Der Bären-Besuch blieb kein Einzelfall im Leben dieser Katze, ging sie doch einmal auch auf Visite zur australisch-neuseeländischen Botschaft. Dort wurde man des Besuches jedoch bald einmal überdrüssig. Telefon – Ihre Katze ist bei uns – Habe kein Auto, kann sie nicht abholen – Kein Problem: Bei uns sind genug Leute da, die gerade nichts zu tun haben. Wir bringen sie.

Die Australier wussten, was sich für eine Berühmtheit geziemt. Die Besucherin wurde zuhause abgeliefert – in der schweren schwarzen Staatslimousine.