Hermenstil

Aufgrund der stilistischen Untersuchung können die Hermenköpfe in das 4. Jahrhundert datiert werden. Für ein inhaltliche Gesamtprogramm, das andere Autoren postulieren, fehlen jedoch genügend überzeugende Argumente.

Griechisch-römisches Bildungsideal auch im 4. Jh.

Mit Diokletian (284–305) postuliert Wrede eine Tendenz gegen auseinanderstrebende Kräfte im Römischen Reich. Somit habe es zu Beginn des 4. Jahrhundert noch so etwas wie einen Reichsstil gegeben, das griechisch-römische Bildungsideal sei zumindest im 4. Jahrhundert in Ost- und West-Rom noch homogen. Gegen provinzielle Sonderformen, welche vom Bürgertum getragen worden waren, führt Wrede an, dass das Bürgertum im späteren 3. und im 4. Jahrhundert an Bedeutung verlor. Damit erklärt er den Rückgang der provinziellen Plastiktradition. Diese Sicht wird von Weber relativiert; für ihn ist hauptsächlich der wirtschaftliche Niedergang für ein Nachlassen der Kunstproduktion verantwortlich. Dafür entstehen regional begrenzte Sonderformen mit volkskünstlerischer Wurzel in der beginnenden Kirchenkunst.

Auffällig ist der grosse Qualitätsunterschied innerhalb der Hermen: Von ganz passablen Stücken, beispielsweise das Hermenpaar «Philipp II.» Nr. 14 und Nr. 24,1 insbesondere die Ausführung des Bartes, über etliche mittelmässige – als ein Beispiel «Polydeukes» Nr. 80;2 dazu etliche weitere – bis hin zu beinahe unfertig anmutenden: zum Beispiel der rechte Haaransatz an der Wange von Nr. 12.3 Wenn tatsächlich die Köpfe alle bemalt waren, konnte mit der farblichen Wirkung sicher dieser Qualitätsunterschied kaschiert werden, wie schon Hettner antönte; es kam eben nicht auf die Qualität jedes einzelnen Stückes an, sondern auf die dekorative Gesamtwirkung des Hermenzauns. Weshalb dann sich aber trotzdem qualitativ gute Stücke in der Hermengalerie von Welschbillig finden, diese Frage lässt Hettner unbeantwortet.

Aus der Benennung bzw. aus den Versuchen, die Hermen zu benennen, ergeben sich bei Wrede fünf Kategorien: Griechen, Römer, Porträtfiktionen, Barbaren und Götter, wobei die Barbaren-Typen noch weiter unterschieden werden (in der Tabelle gekennzeichnet mit •) in Germanen, Afrikaner und Orientalen. Die Verteilung der Hermen auf diese Typen ergibt die folgende Tabelle, wobei einige Stücke nicht sicher zugeordnet werden können:

Kategorien Hermen-Paare (Nr. nach Wrede) Anzahl Anteile
Griechen 9 14 23 31 35 80         6 10 9 % 15 % 15 %
  24 32 39 41           4 6 %
Römer 19 27 42 91 93 98         6 9 9 % 13 % 13 %
21     92 95           3 4 %
Porträtfiktionen 7 8 11 12? 16 78 97 Neufund   8 14 12 % 21 % 21 %
10 17   15? 26 88 100       6 9 %
• Germanen 13 18 33 34 59 64 68 70 82 90? 10 15 15 % 22 % 31 %
    40 38   73 69     99? 5 7 %
• Afrikaner 28 36                 2 4 3 % 6 %
30 37                 2 3 %
• Orientalen 66                   1 2 1 % 3 %
71                   1 1 %
Götter 6 22 60 61 63 67 83 87 89 96 10 11 15 % 16 % 16 %
          74         1 1 %
Unbenannt 62 75 86               3 3 4 % 4 % 4 %
Summen 68 100 % 100 % 100 %

Tabelle 2: Anteile der verschiedenen Kategorien von Hermen.

Datierung und Deutung

Die Helmform von Nr. 83 «Mars» findet sich auch auf Münzen des 4. Jahrhunderts. Barbaren und Porträtfiktionen sind Bildniserfindungen des 4. Jahrhunderts; zudem sind Porträt-Hermen erst seit tetrarchischer Zeit als Balustradenpfeiler verwendet worden.4 Vieles folgt der um 300 herrschenden Stilrichtung, ist damit ein Nachwirken des tetrarchischen Stils.

«Die Hermen bilden die grösste Skulpturengruppe einheitlicher Konzeption unter den römerzeitlichen Denkmälern nördlich der Alpen.» Im Ganzen zwar «ästhetisch nicht ohne Reiz», handelt es sich mehr um dekorative Skulpturen aus der Hand geübter Steinmetze als um anspruchsvolle Kunstwerke.5 Das muss uns bei der stilistischen Beurteilung immer bewusst bleiben.

Koethe betont den völkerkundlichen Aspekt: Für ihn war die Hermengalerie «ein Spiegel der spätantiken Bevölkerungszusammensetzung im Trierer Land», wie Wrede zusammenfasst.5 In den meisten Hermen sah er Porträts von Zeitgenossen sowie ethnische Typen. Diese Haltung, die Konzentration auf eine rassische Analyse, lässt sich auf die Zeitumstände Koethes zurückführen; seine Stil-Analyse und die Benennungs-Vorschläge von 1935 sind also mit Vorsicht zu geniessen. Er datiert die Galerie in valentinianisch-gratianische Zeit (364–383).

Wrede will in seiner Arbeit aufzeigen, «wie in der Spätantike kopiert wurde».7 Wie er anhand der Hermen von Welschbillig beweisen will, führt die plastische überlieferung bis in die 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts. Hinzu kommen zwei weitere Themen: Erstens will er Koethes Vermutung eines kaiserlichen Landsitzes erhärten, und zweitens will er eine allgemeine Entwicklung der Hermenbalustrade darstellen. Aus den stilistischen Merkmalen und seinen Handzuweisungen schliesst Wrede auf eine Werkstätte mit etwa zehn verschiedenen Steinmetzen.

Aus der Aufstellung (vgl. Plan im Anhang) lässt sich keine Systematik herauslesen. Hettner vermutete, dass der Hausherr sich ebenfalls in die Galerie hat setzen lassen, und zwar in den nicht erhaltenen Mittel-Exedren – was somit eine anzuzweifelnde Hypothese bleiben muss. Wrede ist zwar nicht primär auf eine Deutung aus, aber auch er erachtet es als wahrscheinlich, dass eine Gesamtidee hinter der Skulpturen-Auswahl steckt. «Es ist zu vermuten, dass der kaiserliche Auftraggeber – wir dürfen wohl sagen Gratian – die Hermenbalustrade von Welschbillig zu einem Abbild der antiken Welt und mit ihm zu einem Ausdruck seines kulturellen Erbes und Bildungsideals ausgestalten liess, ein Memento, dieses Kulturgut mit seiner kaiserlichen Macht zu schützen und zu tradieren.»8

Keine ausreichenden Argumente für ein Bildnisprogramm

Meines Erachtens kann für ein solches Programm kein ausreichend starkes Indiz angeführt werden; zu viele der Köpfe bleiben unbenannt. Ist tatsächlich der dekorative Charakter vordergründig, wie mir scheint, so wurden die 112 Hermen von den beauftragten Steinmetzen nach den eben gerade greifbaren Porträt-Vorbildern gestaltet oder frei erfunden, was ja auch auch Wrede vorschlägt. Nur müsste Wrede in letzter Konsequenz auch eine gewisse Zufälligkeit der Auswahl eingestehen, deren einzig feststellbare Richtschnur ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Kategorien der Griechen, Römer, Barbaren und Götter ist – und ob für ein solches «Programm» ein Kaiser Auftrag erteilen muss, scheint mir etwas weit hergeholt.

«Nach unserem Wissen überliefern die Welschbilliger Hermen die spätesten grossplastischen Kopien klassischer Bildnisse [...] Ist ihr ästhetischer Wert auch nicht sehr hoch einzuschätzen, so tragen sie doch als letzte Zeugen noch den späten Abglanz der griechisch-römischen Kunst, die mit ihnen ausklingt.»9




1 Wrede, Henning: Die spätantike Hermengalerie von Welschbillig. Untersuchung zur Kunsttradition im 4. Jh. n. Chr. und zur allgemeinen Bedeutung des antiken Hermenmals. In: Römisch-germanische Forschungen, Bd. 32. Walter de Gruyter & Co., Berlin, 1972. Nr. 14: Tafel 9.1+2, Nr. 24: Tafel 7.1+2, 8.2. Up

2 Wrede 1972 (s. o., Anmerkung 1). Tafel 14.4. Up

3 Wrede 1972 (s. o., Anmerkung 1). Tafel 40.1. Up

4 Koethe, H.: Die Hermen von Welschbillig. In: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts, Bd. 50, 1935. 198ff., 234ff. Up

5 Wrede 1972 (s. o., Anmerkung 1). 1. Up

6 Wrede 1972 (s. o., Anmerkung 1). 1. Up

7 Wrede 1972 (s. o., Anmerkung 1). 2. Up

8 Wrede 1972 (s. o., Anmerkung 1). 89. Up

9 Wrede 1972 (s. o., Anmerkung 1). 100–101. Up